Rückkehr in die Schweiz
Wir haben auf dem Camping ein holländisches Paar getroffen das den gleichen Weg fährt wie wir, sie wollen aber bis an die Quelle der Rhone und dann über den Pass an die Quelle des Rheins und diesem Fluss entlang nach Holland fahren. Am frühen Morgen verlassen wir den noch schlafenden Platz, nur diese Beiden sind auch am Aufbrechen. Denn die letzte Etappe in die Schweiz verlangt Kraft und Ausdauer, einige Höhenmeter sind zu überwinden, vor allem am Anfang geht es in die Höhe. Aber für die Gegenrichtung ist es auch kein Zuckerschlecken, wir fahren nämlich später eine sehr lange Strecke hinunter, und begegnen da einem Tourenfahrer, der ziemlich schwitzt beim Hinauffahren.
Ganz unspektakulär überqueren wir die Grenze in einem Wald, wir merken es erst im nächsten Dorf, der rote Wegweiser, ein IP-Plakat an einer Holzwand, die „generell 50“ Geschwindigkeitstafel,….
Und das GPS zeigt uns eine weisse Landschaft ohne Srassen und Zeichen…! In der Mittagspause, die wir im Schatten bei einer Waldhütte machen, gelingt es uns, die Schweizerkarte vom Laptop auf das GPS zu laden. Aber es ist eine reine Openstreetmap, keine Velokarte, sehr schlecht, ohne Höhenkurven, Campings und andere für uns wichtige Sachen drauf. Wir haben gar nicht daran gedacht, dass wir die Schweizerkarte brauchen werden!!! Es gibt Schlimmeres, aber in den nächsten Tagen merken wir, wie oft uns ein Blick auf das Gerät die richtige Richtung bestätigen würde, ohne das Tablet hervornehmen zu müssen. Denn, die Velo-Wegweiser, zwar schön rot, sind in der Schweiz oft versteckt irgendwo an der Kreuzung, weit unten oder sehr hoch oben, aber sicher nicht bei den anderen Wegweisern. Das macht es zum Suchspiel: wer findet zuerst das rote Schildchen? Mit dem Verkehr ist das oft nicht gerade einfach, anhalten und suchen ist dann die Devise. So kommt das Tablet wieder vermehrt zum Zug, was aber jedes Mal heisst, einen Schattenplatz suchen, absteigen, Tasche öffnen, die Karte aufrufen und studieren. Ich habe ja schon ein gutes Gedächtnis, aber eine Strecke von 60km mit allen Abzweigungen im Kopf zu behalten, geht dann doch ein bisschen zu weit.
Es ist heiss, die Pause wird etwas länger, wir sitzen da und plaudern. Als dann die beiden Holländer vorbeikommen, checken wir gemeinsam die Campings rund um Genf. Der nächste Platz ist noch 20km entfernt, die anderen 30-40km, am Ufer des Genfersees Richtung Frankreich, die falsche Richtung für uns. Wir werden sicher beim Nächsten bleiben, auch wenn der Flughafen sehr nahe ist!
Sie fahren sofort weiter, wir bleiben noch ein wenig und lassen uns Zeit. Im nächsten Dorf verfahren wir uns natürlich schon wieder, ärgerlich! Ach ja, und Geld sollten wir noch haben! Wir haben ja nur Euro dabei! Am Bahnhof versucht Martin an einem Automaten Bargeld zu beziehen, erfolglos. Ein Mann fährt mit seinem Rad heran, ich quatsche ihn an, ob er wisse, wo es eine Post mit Geldautomat hat? Die Post wurde geschlossen, es hat hier nichts mehr, auch am Bahnhof nicht. Wir sollen doch den Zug nehmen, dann sind wir in 10 Minuten mitten in der Stadt Genf. Ach nein, das wollen wir doch nicht, das wäre viel zu schnell für uns! Wir wollen der Rhone und der Veloroute entlang an den See kommen! In unserem Tempo, das uns jetzt schon viel zu schnell vorkommt. Wir lachen viel, erzählen von uns und er von sich, dann macht er noch ein Foto, bevor der Zug kommt und ihn nach Genf bringt. Wir fahren ohne Schweizer Franken weiter, im schlimmsten Fall haben wir ja die Euros und die Kreditkarte.
Der Rhone entlang geht es idyllisch durch ein kleines Naturschutzgebiet, bei einem Wasserkraftwerk hat es unter den Bäumen Picknickplätze, man glaubt es kaum, dass wir nahe einer grossen Stadt sind.
Die Zufahrt zum Camping geht dann mitten durch ein sehr geschäftiges und vielbefahrenes Industriegebiet. Der Platz liegt in der hintersten Ecke, gerade wo ein Wald beginnt und wäre eigentlich noch schön, aber, der Fluglärm ist sehr penetrant. Manchmal im 2-Minutentakt starten die Maschinen über unsere Köpfe hinweg. Man kann buchstäblich die Abgase riechen! Beim Eingang ist niemand, die Rezeption ist erst ab 17 Uhr besetzt. An der Türe hängt aber ein Plan, wo die Wiese für die Zelte leuchtend grün bezeichnet ist. Wir fahren also rein und richten uns neben den Holländern ein, die schon etwas früher eingetroffen sind. Die Bungalows sehen sehr bewohnt aus, wir vermuten, dass hier Flüchtlingsfamilien eine Unterkunft bekommen haben, ein paar fremdsprachige kleine Kinder laufen neugierig herbei und gucken uns beim Zelt aufstellen zu.
Um 17.25 erscheint dann endlich die Dame der Rezeption, wir sind schon ein paar Leute, die auf sie warten. Sie tut furchtbar kompliziert um uns aufzunehmen, muss Fotokopien von ID und ACSI Ausweis machen(beide Seiten, pro Seite ein Blatt), ein Formular ausfüllen mit Geburtsort und allem drum herum! Ob wir das immer machen, uns auf fremden Grundstücken einfach einzurichten?? Ja, hätten wir warten sollen in der Hitze vor der Rezeption, bis sie, nach zwei Stunden und mit 25 Minuten Verspätung, erscheint? Ich bestätige ihr, ja das machen wir öfters, es würde manchmal sogar gewünscht, dass man sich wohl fühle, das Geschäftliche könne man dann abends abwickeln. Und der Plan an der Türe könne ja schon als eine Aufforderung für Velofahrer angesehen werden, sich zu installieren, wenn zwischen 12-17 Uhr niemand da sei. Ich darf mit der Karte bezahlen, SFR 32.-, aber das Bier, das ich auch noch kaufen möchte, kann ich nur bar bezahlen. Dann kaufe ich eben keines, ich habe keine Franken! Wir müssen uns sowieso an das Preisniveau der Schweiz gewöhnen!
Wir planen die Weiterfahrt und entschliessen uns, die ausgeschilderten Route Nr 1 durch Genf durch zu fahren, besser als selber mit dieser Karte auf dem GPS einen eigenen Weg zu suchen. Auch so ist es schwierig genug, nicht an jeder Kreuzung anhalten zu müssen (um das rote Schild zu suchen). Wir verabschieden uns im Morgengrauen von den Holländern, sie wollen heute bis nach Lausanne, wir wahrscheinlich bis Rolle, da hat es einen kleinen Camping-Platz am See!
Die Fahrt durch Genf wird wirklich zum Suchspiel, es hat in der Stadt einige Baustellen und die Wegweiser sind unauffindbar, oder an einer unsichtbaren Stelle. Am Bahnhof können wir, nach einiger Wartezeit, endlich etwas Geld beziehen. Und wir finden auch den See und machen ein Foto vom „Jet d’eau“.
Der Verkehr ist hektisch und als wir auf einer Busspur fahren, wo explizit auch Velofahrer fahren dürfen, überholt uns ein Bus sehr schnell und kommt Martin gefährlich nahe, da er viel zu früh wieder rechts hält. Bei der nächsten roten Ampel ruft ihm Martin noch zu, dass er besser aufpassen sollte! Und am Strassenrand meint ein Mann, der alles beobachtet hat, dass die Buschauffeure in Genf wie die Teufel fahren! Erst nachdem wir die Stadt verlassen haben, wird es ruhiger, es gibt Velostreifen und die Strässchen ins Hinterland, weg von der N1, die trotz Autobahn stark befahren ist. Die Mittagspause machen wir in einem kleinen Dorf wo wir beobachten, wie nach 12 Uhr die Handwerker zum Mittagessen fahren. Es kommt uns vor, als wenn die, die oben im Dorf gearbeitet haben, an den See hinunter wollen und umgekehrt! Nach Nyon wird es uns zu heiss, alle die vielen Aufstiege und Umwege in die Hügel zu machen, wir nehmen die vielbefahrene Hauptstrasse, aber die hat bis Rolle fast durchgehend einen Velostreifen! Das ist gut für die Alltagsvelofahrer, zur Arbeit will man ja nicht schweisstreibende Umwege durch die Dörfer machen! Auf dem Camping beziehen wir ein Plätzchen unter einem Baum und stürzen uns in den See! Das tut gut!
Die Stimmung hier gefällt uns, man hört zwar auch ab und zu ein Flugzeug, aber die Entfernung ist so gross, dass es nicht mehr störend ist. Die Aussicht auf die Berge, die Wolken und der Sonnenuntergang sind wunderschön.
In Morges ist Markt, wir spazieren mitsamt den Rädern durch die Gassen, kaufen Käse und Gemüse und ein Stückchen Fleisch, Martin stellt es fast die Haare auf von dem Preis, den wir dafür bezahlen. Alles ist mindestens 50% höher als in Frankreich. Von Spanien wollen wir gar nicht sprechen.
Vor Lausanne biegen wir ab, nehmen die Veloroute 5, die Mittellandroute, die uns an den Neuenburger- und Bielersee führen wird. In dieser Gegend verbrachten wir Ferien mit den Kindern, fuhren mit den Fahrrädern dem Flüsschen Venoge entlang, bis nach Lausanne. Diesmal geht’s in die andere Richtung, fast alles durch den schattenspendenden Wald. Bei einer Hütte machen wir Rast, hier hat es sogar einen Brunnen, wo wir unsere Flaschen mit kühlem Wasser auffüllen können. Dann, etwas später, mitten auf dem Waldweg liegt ein grosser Baum, gefallen wahrscheinlich im letzten Gewitter. Martin muss zuerst schauen, ob es ein Durchkommen gibt für uns. Wir müssen alles abladen, die Taschen und die Velos einzeln hinüberhieven und wieder beladen. Aber da haben wir ja schon Übung und schaffen das locker.
Es wird schwül und Wolken ziehen auf, ein Gewitter ist angekündigt für die zweite Hälfte des Nachmittags. Die Venoge schlängelt sich durch eine Schlucht, die keinen Weg hat, das heisst für uns, überwinden von knapp 100 Höhenmetern, natürlich nicht durch den Wald, sondern durch Wiesen und Felder, da läuft bei mir der Schweiss nur so runter. Zum Glück bestehe ich auch noch ein wenig aus Haut und Knochen, sonst hätte ich mich in der Hitze völlig aufgelöst….
Der Camping, den wir ansteuern, ist auf dem nächsten Hügel, aber als wir oben ankommen, werden wir sehr unfreundlich begrüsst und über die (sehr hohen) Preise informiert. Das ärgert uns und wir entscheiden uns, weiterzufahren, obschon wir wissen, dass Yverdon noch 40km entfernt ist, wir schon über 40km in den Beinen haben und die Gewitterwolken über uns sich bedrohlich auftürmen und man das Grummeln schon hören kann. Noch eine halbe Stunde, dann wird’s ungemütlich nass auf dem Velo! Wir verlassen den Ort und beginnen sofort mit der Suche nach einem trockenen Plätzchen. Und wir haben enormes Glück: Wir finden den perfekten Platz um das Zelt sofort aufzustellen und alles ins trockene Innere zu befördern, bevor es zu schütten beginnt. Das Gewitter dreht ein paar Runden über unseren Köpfen, wir haben uns gemütlich eingerichtet und lesen, während es stürmt und draussen alles nass wird. Gerade richtig zur Kochenszeit klart der Himmel auf und wir können unser Abendessen ohne Schirm über dem Kocher zubereiten. Dazu beobachten wir zwei Füchse, die in der Nähe unter den Bäumen am Spielen oder Jagen sind. Es ist einer der ganz schönen Plätze auf dieser Reise, die Morgenstimmung mit dem Gemisch von Nebel, Wolken und Sonne ist sehr eindrucksvoll!
Kurz nachdem wir am nächsten Tag losfahren, bemerke ich, dass ich fast keine Luft mehr habe in meinem Vorderreifen, Flicken ist angesagt! Auf einem Feldweg vor einem Bauernhof laden wir ab und reparieren den Schlauch.
Dann, kurz vor Yverdon gibt es plötzlich einen Knall-und Pfffff! Und der Hinterreifen von Martin ist geplatzt! Aber da ist nicht nur der Schlauch kaputt gegangen, sondern auch der Reifen ist gerissen auf einer Länge von 5cm. Er hattte gehofft, dass dieser abgefahrene Reifen bis nach Hause noch halten würde,…Er flickt den Schlauch und Reifen, kann aber nicht genug Luft reinpumpen, sonst hätte der Schlauch sich durch den Riss im Reifen gedrückt.
Es reicht gerade, um das Gepäck auf das Velo zu laden und es zu schieben. Martins Gewicht dazu, hätte zu einem erneuten Kollaps des Reifens geführt. Etwa einen Kilometer müssen wir schieben, dann sind wir in der Stadt und eine Frau zeigt uns, wo ein Fahrradladen ist. Dort müssen wir einen Reifen kaufen, der nicht ganz den Anforderungen eines Tourenrades entspricht, aber um in ein paar Tagen nach Hause zu kommen, ist er gut genug. Vor dem Laden wechselt Martin Reifen und Schlauch damit wir weiterfahren können. Am See machen wir dann eine ausgedehnte Mittagspause auf einer Wiese am See, wir müssen nicht mehr weit, unser Ziel heute ist la Corbiére, ein Bauernhofcamping in Estavayer le Lac, den wir schon vor knapp 20 Jahren zum ersten Mal per Velo mit den Kindern besucht haben. Die Strecke ist schön und führt durch das Naturschutzgebiet!
Langsam, mit schönen Erinnerungen verknüpfend, nähern wir uns unserem Zuhause. Es fällt uns noch schwer, das definitive Ende dieser Reise ins Auge zu fassen.
Auf der nächsten Etappe beschliessen wir mitten im Wald, Freunde anzurufen und zu fragen, ob sie Hilfe bei ihrem Umzug in ein neues Haus brauchen könnten. Und sie können! So fahren wir nicht Richtung Bern, sondern Biel, wo wir die letzte Nacht im Zelt auf einem Bauernhofcamping verbringen! Wir fahren durch altbekannte Gegenden, mit Entzücken bleiben wir fast eine halbe Stunde neben diesen Tieren und schauen zu, wie sie ihr Leben geniessen! Die haben echt Schwein gehabt!
Wir kaufen frische süsse Erdbeeren vom Feld und schmausen sie umgehend, so gut sind sie! Die Sicht ist heute unwahrscheinlich klar und wir können die schönen schneebedeckten Alpen bewundern, obschon wir noch weit weg sind. Da kommen in mir Gefühle auf, die wohl mit dem Begriff Heimat zu tun haben!
Und schon bald sind wir beim neugekauften Haus unserer Freunde angekommen, sie begrüssen uns freudig und wir verbringen plaudernd den Abend im noch wilden, ungepflegten Garten.
Wir helfen, die Wände eines Zimmers weiss zu malen, nehmen grosse Möbel auseinander, packen Kisten und dann, ein paar Tage später, mit vielen anderen Helfern zusammen, die ganze Haushaltung zu zügeln.
Voller Freude treffen wir unsere Kinder, die Familie, Freunde. Und der ganze administrative Kram kommt auf uns zu, überflutet uns, es ist unvermeidlich, wenn man nach zwei Jahren aus dem Ausland wieder nach Hause kommt.
So gehen wir langsam an das Leben hier heran, versuchen, seinen Rhythmus zu spüren und uns daran zu gewöhnen. Es ist nicht einfach! Das „Normale“ ist noch sehr ungewohnt, wie Fremde fühlen wir uns, sind aber doch nicht so fremd.