Endlich Sizilien!

Ich muss vorausschicken, dass wir schon länger in Sizilien angekommen und (temporär) sesshaft geworden sind! Ich erzähle hier, was uns auf der Fahrt hierher so alles passiert ist!

Die Zahlen der Coronafälle in Italien sind Mitte Oktober zwar noch nicht so hoch, trotzdem werden neue Massnahmen angekündigt, z.B. Maske tragen auch im Freien. Zum Glück noch nicht fürs Fahrradfahren. Aber eingangs der Dörfer und Städtchen ziehen wir uns die Masken an, und wenn wir draussen sind wieder ab. Wir haben die Befürchtung, dass es noch strengere Regulierungen geben wird. Wir möchten jetzt so schnell wie möglich nach Sizilien kommen, bevor die Insel vielleicht keine Touristen mehr reinlässt.
Wir brauchen noch 2-3 Tage, bis wir Reggio Calabria erreichen, je nachdem wie viele Kilometer wir fahren. Die Strasse ist nur wenig befahren, es gibt hier einen Abschnitt fertiggestellte Autobahn, die später abzweigt auf die andere Seite des Stiefels und dort weiter bis Reggio. Und nach Locri hat es wirklich kaum noch Lastwagen nur in den Städten den „hausgemachten“ Verkehr. Bei einem Agriturismo halten wir an, da sollte es laut der App „Park4night“ möglich sein, zu campen. Und wirklich, wir dürfen unser Zelt hier aufstellen. Eine ziemlich ältere Dame begrüsst uns im leeren, geschlossenen Restaurant, sie nützt die Gesellschaft der Putzfrau für ein Plauderstündchen. Sie ist erfreut, dass wir dableiben wollen, lädt uns zu einem Cafe ein, diesem Schluck heissen, schwarzen Getränk. Es erstaunt uns immer wieder, wie gut der schmeckt. Sie lässt es sich nicht nehmen etwas mühsam am Stock zwar, mit uns zu der grossen Wiese zu gehen, und uns zu zeigen, wo wir unser Zelt aufstellen können. Drüben beim Fussballplatz hat es eine kleine Garderobe mit Toiletten und Duschen, die wir benützen können. Zwar ist alles schon längere Zeit nicht geputzt worden, aber wir können schon gut über den Schmutz hinwegsehen. Bei einer der Toiletten läuft das Wasser (seit Tagen?). Martin öffnet den Spülkasten und repariert das Ding. Die Duschen funktionieren gut, es hat sogar heisses Wasser. Schön! Wir stellen unser Zelt neben das Gebäude, geniessen die letzten nachmittäglichen Sonnenstrahlen, während auf dem Gelände nebenan die Olivenernte voll im Gang ist.
Gegen Abend kommt der Besitzer zu uns, zeigt uns, wo wir den Scheinwerfer anmachen können, der die Wiese beleuchtet wie bei einem Fussballmatch. Beim Eindunkeln sind wir froh um das Licht und kochen bei Fussballspiel-Atmosphäre unser Abendessen. Für die Nacht löschen wir den Scheinwerfer wieder, der Mond erhellt die Nacht.

Wir haben uns wirklich schon langsam an den italienischen Verkehr gewöhnt. Die Dörfer, die wir durchfahren sind ziemlich entvölkert, vieles ist geschlossen, es sind so richtige Sommerferiendörfer. Zweimal sehe ich ein Schild an der Strasse, wo drauf steht, dass der Strand in diesem Dorf „decontaminato“ ist, und frage mich, was das bedeuten könnte. Einer Lungomare entlang sehen wir nichts, was an Sommertourismus erinnert, alles ist verlassen und verfallen, und viel, sehr viel Abfall. Später finde ich heraus, dass in dieser Gegend vor ein paar Jahren das Meer wirklich vergiftet und die Strände geschlossen wurden. Was genau passiert ist finden wir aber nicht heraus. Ein Abfallproblem haben sie hier aber definitiv.
Wir haben nochmals wild zelten geplant. Am Ende einer Lungomare fahren wir auf einem sandigen (und sehr vermüllten) Strässchen weiter. Hier begegnen wir einem Jeep, der das Fahrgestell hochgebaut hat und mit dröhnendem Motor dem Strand entlang durch den Sand pflügt. Die beiden jungen Männer haben sichtlich Freude daran. Als sie uns kreuzen, nehmen sie gnädig den Fuss vom Gas und fahren ganz anständig an uns vorbei. Wir müssen hier die Fahrräder schieben, da es zu sandig ist. Während Martin hinter dem Schilf suchen geht, stehe ich da am Strand, es hat zwei kleine Bäume, einen kleinen, mit Schilf gedeckten Unterstand mit einem Liegestuhl, und zwei verlassene, gestrandete Boote. Weiter drüben ist die Mauer eines Campingplatzes, der geschlossen ist. Hinter dem Weg steht eine Betonruine, das hätte vor Jahren mal eine Hotelanlage geben sollen. Ein Zaun, Unterstände aus Holz und der Gestank lassen uns vermuten, dass hier ein Bauer seine Schafe und Ziegen untergebracht hat. Ob die abends hierher kommen, wissen wir nicht. Hinter einem anderen Zaun hat es eine kleine Baracke, ein paar Hühner und Enten spazieren herum. Ein Motorroller steht beim Häuschen, da wohnt vielleicht jemand? Ja, wirklich, ein älterer Mann kommt zu mir heraus und will ein wenig plaudern, fragt nach dem woher und wohin. Ich erzähle von unserer Reise, und er staunt, wie weit wir schon gekommen sind. Als er hört dass wir aus der Schweiz sind erzählt er, dass er vor über 30 Jahren für sechs Jahre in der Schweiz gearbeitet hatte, als Gramper. (das sind Gleisbauer, ein harter Job) Er wohnte in Thun, das ist ja fast meine Heimat. Als ich ihm sage, dass wir einen Platz zum Übernachten suchen, zeigt er zum einen Baum und sagt: hier! Hm, so gut sichtbar von allen Seiten? Jaja, kein Problem, hier passiert nichts! Er schläft im Sommer auch immer hier draussen unter dem Schilfdach, auf dem Liegestuhl. Martin kommt gerade von seinem Rundgang zurück, und nachdem wir zusammen seine Plätzchen angeschaut haben, zwar sichtgeschützt, aber voller Müll, entschliessen wir uns, da draussen beim Schilfdach unser Zelt aufzustellen. Wir haben ja die Erlaubnis von dem Mann. Der ist unterdessen wieder zu seinem Häuschen gegangen, er hat Besuch bekommen von einem Kollegen. Wir fangen an zu kochen, das Duschen lassen wir jetzt bleiben, es steht zwar eine funktionierende hier am Strand. Aber das ist nun doch ein bisschen zu wenig sichtgeschützt für mich, so unter der Beobachtung der beiden Männer. Aber egal, wir haben heute ja nicht so viel geschwitzt. Während dem Kochen und Essen wird der Wind immer ruhiger, der zuvor noch ziemlich lebhaft geblasen hat. Das ist gut, denn ohne Wind ist es eben ein paar Grad wärmer! Und wenn die Sonne weg ist, sind wir um jedes Grad Wärme froh. Beim Eindunkeln stellen wir das Zelt auf, unser Nachbar hat noch seinen Hasen am Strand herumhoppeln lassen und uns neugierig zugeschaut. Ein paar Autos fahren vorbei bis zur Mauer des Campings, drehen dort wieder um und wieder zurück. Spazierenfahren. Sobald es dunkel wird, bleiben auch diese Spazierfahrer aus und wir sind ganz allein am Strand. Der Nachbar verbrennt hinter dem Häuschen seinen Müll, zum Glück bläst der Wind den Rauch von uns weg. Danach verabschiedet er sich, wünscht uns eine gute Nacht, er geht noch ins Dorf um ein Bierchen trinken. Wir geniessen den Sternenhimmel und die Ruhe am Strand. Frühmorgens höre ich ein paar Autos, und unseren Nachbarn, der mit einem Freund sein Boot an unserem Zelt vorbei zum Wasser schiebt. Als wir dann so gegen halb acht aufstehen, stehen ein paar Fischer am Strand und ein paar in ihren Booten draussen auf dem fast spiegelglatten Meer unterwegs. Ein wunderschöner Morgen!
Später verabschieden wir uns von unserem Nachbarn, er hat heute keinen einzigen Fisch gefangen, deshalb schlachtet er nun ein Hähnchen, er habe zu viele von denen, und die machen am Morgen so einen Krach!

Auf dem Weg nach Reggio Calabria schaue ich immer wieder hinüber nach Sizilien, ich möchte gerne den Ätna sehen, aber der verhüllt sich seit gestern Abend mit dicken Wolken. Da muss ich noch etwas Geduld haben. Auf Nebensträsschen und sogar Feldwegen nähern wir uns der grossen Stadt. Sogar eine Müllhalde müssen wir durchqueren. Nase zuhalten! Ich kann nicht anders, hier muss ich ein Foto machen!

Die Stadt selber ist auch sehr schmutzig, das Abfallproblem ist nicht gelöst! E s hat überall Müllhaufen in den Gassen, da wurde schon länger nichts mehr abgeholt. Zum Glück ist nicht Sommer, sonst wäre der Gestank unerträglich! Wir haben für zwei Nächte ein B&B gebucht. Unser Zimmer hat einen grossen Balkon, da können wir sogar Wäsche trocknen und morgens unseren Kaffee kochen. Wir leisten uns ein schönes Abendessen in einem Restaurant. Am nächsten Tag suchen wir den Hafen auf, um abzuklären, ob wir mit den Fahrrädern auf der Passagierfähre nach Messina fahren können. Das geht nur, wenn das Fahrrad gefaltet und in einer Tasche eingepackt ist! Wir erklären der Dame am Schalter, dass das mit unserem Gepäck nicht möglich ist, aber die Frau versteht nicht. Wir können den Kapitän fragen, wenn die Fähre da ist, das ist ihr Angebot. Nein, dann fahren wir lieber die 15km nach Villa San Giovanni, wo wir ganz sicher mit der Autofähre nach Messina rüber können. Morgen sind wir in Sizilien!
Es ist fast wie in ein anderes Land zu gehen, das Wasser ist wie eine Grenze. Aber halt, zuerst noch müssen wir im Wirrwarr von Einbahnstrassen und Zufahrten zum Hafen den Weg finden, überall sind Zäune und natürlich ist alles für Autos und Lastwagen ausgelegt. Ein Angestellter bei den Kassenhäuschen winkt uns, wir sollen die Fahrräder über den Gehsteig und zwischen den Büschen durchschieben, kein Problem! Ich kaufe die Tickets, 6 Euros bezahle ich für uns beide mit den Fahrrädern! Zwischen Gebäuden, Autos und Lastwagen fahren wir dann zur Anlegestelle der Fähre. Gerade ist eine angekommen und entlässt eine Menge Autos und Lastwagen. Wieder einmal kommt es mir sehr skurril vor, wie wir zwischen all den  Autos in der Warteschlange mit unseren Fahrrädern stehen.

Auf dem Schiff angekommen, die Räder angebunden, in den Aufenthaltsraum hoch, dasitzen mit Abstand und Maske, 30 Minuten Fahrzeit und dann in Messina angekommen, rausfahren und den Weg finden in die Stadt. Wir kommen eiinige Kilometer nördlicher der Stadt an als ich angenommen habe. Die Tagesstrecke wird also noch etwas länger als geplant. Der Mann, den ich über Warmshowers angeschrieben habe für eine Übernachtung in der Nähe von Messina, hat nicht geantwortet, wir fahren also zu einem Campingplatz, der fast 50 km südlich von Messina liegt. Gibt dann 65 km, das ist eher viel für uns.
Zuerst durchqueren wir die Stadt, sie gefällt uns, es ist viel sauberer als in Reggio, die Altstadt ist sehr schön. Als wir auf den Platz vor der Kathedrale kommen, ist gerade 12 Uhr mittags und ein Spektakel am Kirchturm geht los. Da kräht und flattert ein Hahn, werden Glocken angeschlagen, ein goldener Löwe brüllt dreimal ganz laut über den Platz und zuletzt wird ein Ave Maria abgespielt…da wird mir ganz warm ums Herz! Wenn das nicht ein gutes Omen ist! So empfangen zu werden, macht Freude! Emotional gestärkt verlassen wir die Stadt südwärts. Froh, dass wir die Maske endlich wieder  versorgen können.

Sizilien ist ganz anders. Das merken wir schnell, die Sauberkeit fällt uns am meisten auf. Es hat  offene Campingplätze, diese sind  etwas teurer als in Kalabrien. In den Läden und Bars ist man Touristen gewöhnt, wir werden ein paarmal fast ein wenig abgezockt, weil wir nicht zuerst fragen, wie viel ein Cappuccino kostet, bevor wir ihn bestellen.
Wir begegnen wieder anderen Reisenden (in Wohnmobilen) aus der Schweiz, Deutschland und Holland.
Nach der zweiten Nacht erblicke ich im frühen Morgenlicht endlich den Ätna ohne Wolken. Er steht gross und majestätisch da, nur ein kleines Räuchlein oben links zeugt von seiner schlummernden gewaltigen Kraft.

Wir können nun wieder etwas andere Strassen fahren als nur die Nationalstrasse, das geniessen wir sehr. Die Verkehrsschilder, die auf die Besonderheiten in der Nähe eines Vulkans hinweisen, können wir momentan ignorieren. Es hat zwar ab und zu ziemliche Steigungen, die wir zu überwinden haben. Aber die Aussichten in die Buchten und auf das Meer belohnen uns für die Mühen.

Als wir in Catania einfahren, sind wir überwältigt von der schönen Altstadt, hier gefällt es uns sehr gut! Wir bleiben zwei Tage und besuchen ein paar Sehenswürdigkeiten, geniessen abendliche Bummel durch die stimmungsvolle Stadt. Man könnte (trotz Maskenobligatorium) beinahe vergessen, dass es Covid19 gibt! Eigentlich möchten wir noch etwas hierbleiben, aber unser Zimmer ist übers Wochenende ausgebucht, deshalb beschliessen wir, weiterzufahren, Syrakus soll ja auch sehr schön sein.

das griechisch-römische Theater steht mittenzwischen den Häusern
fürs Foto schnell die Maske weg…

Zwischen Catania und Syrakus ist die ganz grosse  Erdöl-Industrie angesiedelt, Augusta muss man nicht besuchen. Wir merken es am Laastwagen-Verkehr, an den riesigen Industriegebieten mit Schornsteinen und den mächtigen runden Tanks, die in Gruppen da stehen. Wir gelangen auf eine ehemalige Autobahn, sie ist kaum befahren, da hat es wahrscheinlich in der Nähe eine neue Autobahn gegeben. Der Mittel- und der Pannenstreifen sind schon meterhoch mit Oleander und Schilf zugewachsen, es wird nur noch ein paar Jahre dauern, bis die Strasse unpassierbar wird. Wir staunen, was sich da der italienische Staat leisten kann! Wir fahren ganz alleine, es ist fast gespenstisch, über eine Stunde lang überholt uns kein einziges Auto! So komisch! Da kommt fast Weltuntergangsstimmung auf.

Kurz vor Syrakus gibt es eine kurze Via Verde, ein stillgelegtes Eisenbahntrassee, das für Fahrräder und Fussgänger zurechtgemacht wurde. Hier führt es der Küste entlang, an einer ehemaligen Tonnara (eine Thunfisch-Verarbeitungsfabrik) vorbei. Die Ruine ist ein potenzieller Übernachtungsplatz, den wir natürlich genau inspizieren. Nach der letzten „wilden“ Übernachtung haben wir den Mut, auch hier zu bleiben, obwohl wir uns nicht richtig verstecken können. Wir verbringen einen tollen Abend, eine nur vom Rauschen der Wellen gestörte Nacht und einen wunderschönen Morgen hier. Ein paar Spaziergänger kommen vorbei und frühmorgens ein Motorrollerfahrer, der aber gleich wieder wegfährt, als er uns sieht. Nach dem Frühstück packen wir unsere Sachen, fahren die paar Kilometer nach Syrakus, wo wir uns zwischen den sonntäglichen Spaziergängern durchschlängeln und später auf einem Platz einen (teuren) Cappuccino trinken. Fast wie Ferien!

Ganz in der Nähe hat es einen Camping, eine wunderschöne Wiese mit uralten Olivenbäumen, einem Pool und einem gedeckten Platz mit Tischen, Bänken und einem Kühlschrank! Wir verbringen ein paar Tage auf dem Platz, lassen einen regnerischen Gewittertag vorbeiziehen. Wir treffen hier ein junges deutsches Paar, die auch schon seit ein paar Monaten mit dem Fahrrad unterwegs sind! Das ist schön, wieder einmal mit Leuten zu quatschen, die Ähnliches erleben wie wir! Wir wollen uns auch nochmals mit Markus aus Berlin treffen, er kommt zum Camping und wir verabreden uns für den nächsten Tag. Er steht lieber frei, irgendwo, und so fahren wir los und besuchen ihn in Marina d’Avola auf „seinem“ Parkplatz, wo er für uns ein tolles Menu kocht! Wir plaudern ganz lange, seine Weiterreise wird ihn nach Sardinien und dann nach Spanien führen, er will seinen Kumpel auf den kanarischen Inseln treffen! Am späten Nachmittag beschliessen wir, nicht da auf dem Parkplatz zu bleiben, in 4 Kilometer Entfernung hat es einen kleinen Campingplatz, das ist doch gemütlicher. Wir verabschieden uns von ihm und wünschen ihm eine gute Reise!

Auf dem Camping Oasi Park Falconara werden wir freundlich empfangen und eingewiesen. Die Atmosphäre gefällt uns auf Anhieb, es hat ein paar Leute aus Deutschland und Österreich hier, einige sind schon letzten Winter und auch im Frühling da gewesen. Während des Lockdowns im März und April harrten sie hier aus, da sie dableiben durften, obwohl der Camping offiziell geschlossen war.

Und hier beginnt unsere Suche nach einer Bleibe für den Winter, die Gegend und die Leute hier gefallen uns. Die zwei Städtchen Avola und Noto sind in der Nähe, sowie auch das Naturschutzgebiet Vendicari und die Riserva naturale Cavagrande del Cassibile, beide wollen wir erkunden. Genug zu tun, um einen Winter zu verbringen. Und auch die sich abzeichnenden Beschränkungen wegen Covid19 auszuhalten.

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