Von Genua Richtung Heimat
Es ist trüb bei unserer Ankunft, die Wolken hängen dicht über den Hügeln hinter der Stadt. Schnell kommen wir aus dem Hafen und staunen über den breiten Fahrradstreifen, der das ganze Hafenbecken sicher befahrbar macht. Norditalien hat wirklich schon etwas Fortschritte punkto Fahrradwege gemacht. Wir werden ein paar Tage hierbleiben, die Stadt anschauen und einen vernünftigen (Fahrrad-)Weg hinaus suchen. Wir machen eine Führung in einer alten Villa und erfahren hier viel Spannendes über das Leben in der Stadt in früheren Zeiten. Bei einem Abendbummel am Hafen spüren wir die wieder aufkeimende Lebensfreude der Menschen. Vor ein paar Tagen wurde das Sitzen auf den Terrassen wieder erlaubt. Und viele sitzen auf den Terrassen! Die Stadt hat allen Bars und Restaurants erlaubt, ihre Stühle und Tische auf den Plätzen gratis hinzustellen, und das Angebot wird rege genutzt. Einen Regentag nutzen wir, unsere Route zu planen, den Pass zu finden, der am wenigsten steile Anstiege hat. Das Zimmer ist zwar nicht viel grösser als das Bett, aber wir schaffen es trotzdem, Yoga zu machen!
Und am nächsten Tag fahren wir los, das Val de Trebbia ist unser Wegziel. Da geht es zuerst lange an einem Kanal entlang, raus aus der Stadt, lange auf einem Fahrradstreifen, der uns die genügende Distanz zu den Autos und Lastwagen gewährt. Nach etwa 12 Kilometern beginnt die Steigung, langsam windet sich die Strasse dem Fluss entlang in die Höhe. Der Passo della Scoffera ist auf 677müM, die Wahl ist nicht schlecht, da die ausgebaute SS45 auf der Karte wie eine Autobahn aussieht, aber in Realität eine normale Strasse mit breitem Seitenstreifen ist, auf der wir auch fahren dürfen. Das heisst, dass wir etliche Höhenmeter nicht machen müssen, da es viele Tunnels hat! Das ist zwar auch etwas beängstigend, der Lärm von den Autos ist ohrenbetäubend, aber es hat zum Glück nur sehr wenig Verkehr! So gelangen wir ins Val de Trebbia. Ein bewaldetes Bergtal, das hier am Anfang kaum bewohnt ist. Bald beginnen wir ein Übernachtungs-Plätzchen zu suchen, es ist so schön. Da kommen schon etwas heimatliche Gefühle auf, der Bach ist hier fast wie die Emme zuhause. Und wir finden ein ruhiges Plätzchen im Wald, wo wir Abendessen kochen und in der Abenddämmerung unser Zelt aufstellen. Frühmorgens werden wir vom Gezwitscher der Vögel geweckt und nach dem Yoga in der Natur gibt es den wohlverdienten Morgenkaffee. Wir kommen fast nicht weg, es ist so schön.
Irgendwann fahren wir doch los, es gibt wieder einen wunderschönen Tag, wir sind fast allein auf der Talstrasse, meistens leicht bergab, was wollen wir noch mehr?! Aber dann, die nette Überraschung, etwa um 16 Uhr. Eine eingefallene Brücke, und zwar so kaputt, dass man gar nicht dran denken kann, irgendwie hinüberzukommen. Der kleine Bach heute Morgen hat sich hier schon zum ziemlich breiten Fluss mit rechter Strömung gemausert. Eher ungeeignet um mit den Fahrrädern durchzuwaten. Nachdem wir die ausweglose Situation von oben und unten genau analysiert haben, beschliessen wir, hier das Zelt aufzuschlagen, ein Pasta-Menu haben wir noch dabei. Umwege lieben wir nicht, vor allem, wenn sie fast 20km lang sind und 800Höhenmeter betragen, und das, wenn Feierabend sein sollte. Verschieben wir das Unterfangen auf Morgen!
Aber, manchmal kommt es anders! Ein Lieferwagen mit zwei Männern steht vor der Absperrung, als wir gerade wieder vom Fluss zu unseren abgestellten Fahrrädern hochkommen. Sie begutachten die neue, sich im Bau befindende Brücke. Martin spricht sie an, wir plaudern ein bisschen mit ihnen über den italienischen Staat und seine Arbeitsweise. Sie warten nämlich auch auf die Fertigstellung der Brücke, sie fahren den Umweg täglich. (Die Brücke ist vor zwei Jahren eingestürzt, dann wurde eine Notbrücke gebaut, bei einem Unwetter letzten Herbst wurde die Zufahrt zur Notbrücke durch einen Erdrutsch verschüttet und seitdem müssen alle den Umweg machen, auch Fussgänger und Fahrradfahrer. Die Baustelle darf nicht betreten werden! So krass!)
Die Beiden entpuppen sich als Sonntags-Rennradfahrer, und sie haben Mitleid mit uns. Sie finden auch, dass dieser Umweg eine Zumutung ist mit solchem Gepäck. Sie machen Platz im Lieferwagen, wir schmeissen alle Taschen und die Fahrräder hinten hinein. Dann macht Martin es sich bequem dazwischen, und wir dürfen bis zum höchsten Punkt vom Umweg mitfahren. Es ist ein Bergsträsschen, steil und kurvig und ich bin sehr froh, dass wir da nicht mit eigener Kraft hoch müssen. Ganz oben laden sie uns wieder aus, Martin hat das Schaukeln hinten drin überstanden, ohne seekrank zu werden. Nachdem wir uns ganz herzlich bedankt haben, fahren die Beiden weiter und wir beladen unsere Räder. Unterdessen ist 17 Uhr vorbei, aber es wird ja noch lange nicht dunkel, es ist Ende Mai! Das geniessen wir jetzt besonders! Ein Plätzchen finden zum Übernachten, oder zum Camping, ganz unten im Tal? Eine wunderschöne Abfahrt haben wir vor uns, es hat ein paar Häuser und einige Hänge werden bewirtschaftet. In kurzen steilen Serpentinen geht’s bergab, ein Genuss! So erreichen wir den Talboden und das nächste Dorf, kaufen Früchte, Gemüse und Joghurt ein. Unser Olivenöl ist auch fast alle, ich frage die Frau, ob sie Halbliterflaschen verkauft? Nein, leider nicht. Aber wenn ich eine leere Flasche habe, könnte sie mir die mit ihrem eigenen Öl abfüllen. Wow, Super, gern! Und so erhalte ich ein feines Öl von den Olivenbäumen aus dem Val de Trebbia. Es ist schon 19.30 Uhr als wir auf dem Camping Ponte Barbarino ankommen. Der Besitzer kommt aus seinem Haus und zeigt uns alles. Es hat sogar ein paar andere Leute mit Zelt, einen Radfahrer und zwei junge Frauen mit Auto und Zelt. Bis wir uns eingerichtet, geduscht und gekocht haben ist es dunkel geworden und die anderen sind in ihren Zelten verschwunden. Beim Licht der Laterne essen wir, rekapitulieren den Tag und wissen wieder einmal: Es gibt sooo viele freundliche und hilfsbereite Menschen auf dieser Erde! Vor lauter Glück bleiben wir den nächsten Tag auf dem Platz, waschen Kleider, geniessen den Blick über den Fluss, bei einem Gelato plaudern wir mit dem Besitzer und erfahren von dem Hochwasser vor ein paar Jahren, das den Ponte Barberino heruntergerissen, und den halben Camping überschwemmt hat. Er musste Dämme bauen, damit wenigstens ein Teil des Campings geschützt bleibt. Der Fluss sieht heute harmlos aus, man denkt kaum, dass der so hoch kommen könnte. Das ist die Kraft der Natur!
Die Weiterfahrt führt zurück in die “Zivilisation”, In Piacenza kaufen wir am Markt ein, dann geht’s weiter, in die Po-Ebene. Irgendwann mal erkennen wir eine Brücke, über die sind wir damals auch gekommen, 2019, als wir Richtung Griechenland fuhren! Ja, wir nähern uns langsam der Heimat. Aber nicht auf direktem Weg, wir wollen erst Ende Juni zuhause ankommen. Wir haben die „Via Claudia Augusta“ ausgewählt, dies sei eine der einfachsten Alpenüberquerungen für Fahrräder, haben wir gelesen. Vom Gardasee nach Trento, Bozen, Meran, dann durchs Vinschgau und über den Reschenpass. Da geht’s dann runter ins Engadin und schon sind wir in der Schweiz! Aber halt, wir sind erst in der Po-Ebene! Wie der Name sagt, es ist eben, nur wenn wir auf einen der vielen Dämme fahren, geht es ein paar Meter hinauf. Da fährt es sich schnell und locker. Wir passieren den geschichtsträchtigen Ort Solferino, ein etwas verschlafenes Dorf, wo nur ein riesiger Parkplatz, ein Denkmal und ein Museum auf Gästescharen in normalen Zeiten hinweist. Hier entstand die Idee des Roten Kreuzes, als Henry Dunant 1859 das Elend auf dem Schlachtfeld erlebte und spontan Hilfe für alle Verwundeten in den umliegenden Gemeinden organisierte.
Etwas ist anders als damals im Oktober 2019, als wir bei kühlem Wetter, manchmal sogar Nebel fuhren: Es hat jetzt viel mehr Menschen unterwegs auf den Wegen, vor allem an den Wochenenden wird es schon etwas schwierig, einsame Plätzchen zu finden zum Zelt aufstellen. Die Erfahrungen aus Sizilien helfen uns, und unser Zelt steht ab und zu an Orten, wo wir früher noch nicht gewagt hätten.
Mit etwas gemischten Gefühlen nähern wir uns dem Gardasee, es hat dort sehr viele Campingplätze, (= viele Touristen!) Die Preise werden entsprechend höher, eine Übernachtung kann schon mal mehr als 30 € für uns kosten. Dafür wird der Standard auch höher: Seife und Toilettenpapier sind selbstverständlich, in den Duschkabinen hat es Haken für die Kleider und sogar Ablageflächen, die nicht nass werden! Da erinnere ich mich gerade an einige Duschen in Süditalien….wo das Wasser manchmal auf alle Seiten spritzt, ausgenommen da, wo es hinsollte…
Eines Morgens treffen wir plötzlich auf Unmengen von Radfahrern, der Weg dem Fluss entlang ist bevölkert, so haben wir es noch nie erlebt. Aha, Giorno de la Republica! Die Italiener haben einen freien Tag, es ist schönes Wetter und Fahrradfahren darf man ohne Maske. Und so erleben wir eine richtige Völkerwanderung dem Fluss, durch Peschiera del Garda, und dem südlichen Seeufer entlang. Nicht nur Italiener sind hier vertreten, nein, wir bekommen das Gefühl, wir sind in Deutschland! Und es ist wirklich so, dass hier, wenn in Deutschland Ferien sind, der Gardeasee und seine Umgebung zu einem Stückchen Deutschland wird. Über den Brennerpass ist man mit dem Auto von München aus in 4 Stunden da! Und jetzt gerade sind in Bayern Pfingstferien.
Wir flüchten ins Hinterland, es geht über sanfte Hügel durch Villenquartiere und Weinberge. So gegen 14 Uhr müssen wir auf die Hauptstrasse dem See entlang, wo nun der Verkehr etwas abgenommen hat, weil auch die Autofahrer Mittagspause machen. Auf einem der vielen, recht gut gefüllten Campings am See übernachten wir. Der See präsentiert sich im Abendlicht wunderschön, aber der Strassenlärm ist allgegenwärtig. Hier würden wir nie im Leben Ferien machen wollen!
Die nächste Etappe geht gemütlich bis Arco, einem Städtchen, das sich ganz dem Kletter- und Bergsport verschrieben hat. Wir spüren den starken Wind, der die Windsurfer erfreut, zum Glück kommt er von hinten! Das muss doch erwähnt werden, meistens beklagen sich die Fahrradfahrer ja über den Gegenwind. Das wilde Zelten vergessen wir, hier ist alles überbaut, es hat kaum Rückzugsplätzchen. Dazu kommt, dass wir wirklich etwas achtgeben müssen auf die Gewitter, die angekündigt sind. Da ist uns die Erinnerung an die Gewitternacht im Wald in Süditalien noch stark im Gedächtnis. So etwas wollen wir nicht nochmal erleben. Deshalb fahren wir zu einem Agricamping, klein, mit nur wenigen Stellplätzen, aber es hat noch Platz für uns. Wir müssen zwar einmal umziehen, da jemand einen bestimmten Platz reserviert hat. No problema. Wir bleiben ein paar Tage hier, wir wollen Tomas und seine Frau treffen, die wir bei Mama Colette in Sizilien kennengelernt haben. Wir verbringen einen gemütlichen Abend mit ihnen in einem voll besetzten Restaurant. Wir freuen uns, dass es nun endlich wieder etwas Normalität auch für diese Branche gibt.
Wir lernen ein paar deutsche Kletterer kennen, die oft hierherkommen, um ihren Sport zu praktizieren. Es geht an diesen Wänden bis zu neun (oder sogar mehr) Mehrseillängen! Für mich noch in weiter Ferne, überhaupt an so etwas zu denken. Mir reichen 8-15 Meter Höhe noch lange! Wir lassen das Klettern aber bleiben, wir haben ja kein Material. Ein tolles Gewitter mit Regenguss übersteht unser altersschwaches Zelt, nur die wachsende Pfütze fliesst durch unser Vorzelt ab.
Nun wollen wir noch einen Umweg machen, ins Val di Non, das Apfel- Anbaugebiet. Hier sind nämlich Carla und Leo mit Piri gestrandet, Reisende mit Fahrrad und Hund, seit letzten November hier am Arbeiten. Wir wollen sie besuchen und richtig kennenlernen (wir „kennen“ sie nur über Social Media). Wir nehmen Kontakt auf und erhalten positiven Bescheid, sie freuen sich auch auf uns und wir dürfen sogar bei ihnen übernachten!
Wir fahren also los, biegen ab in die Sarca-Schlucht, über Serpentinen geht’s in die Höhe bis auf einen Radweg, (die alte Bergstrasse) mit spektakulärer Aussicht. Im Canyon del Limaro machen wir Mittagspause, ab hier geht’s wieder bergauf bis zum Lago Molveno. Unterwegs stellen wir uns bei einer Autogarage unter, da ein kurzer heftiger Regenguss alles nass macht. Ein kleiner See lädt zum Verweilen ein, aber hier hat es zu viele Menschen und Verbotsschilder, die explizit darauf hinweisen, dass campieren verboten ist. Noch ein wenig weiter, der Lago Molveno ist da besser, die Ufer sind bewaldet und es hat kaum noch Häuser.
Ein so schönes Plätzchen am See finden wir selten! Ein paar Jogger, ein Hundespaziergänger und ein Biker kommen vorbei, während wir am Kochen sind. In der Nähe versucht ein Fischer, Fische zu fangen. Aber als es beginnt zu regnen, wird es ihm zu nass. Wir spannen die Plache von unseren Fahrrädern zwischen die Bäume und verspeisen unser Abendessen unter dem „Dach“. Leider hört der Regen nicht mehr auf, die Wolken hängen grau in den Bergen. Aber das ist gut, da bleiben die Menschen lieber zuhause. Als es dämmert, stellen wir das Zelt ganz hinten zwischen den Bäumen auf, man sieht es kaum.
Trotz Ruhe und Stille am schönen See habe ich aber nicht so gut geschlafen! Denn: vor ein paar Tagen hat uns ein Frau erzählt, dass sich hier Bären rumtreiben! In Andalo wurde vor zwei Wochen einer im Garten gesichtet und vor ein paar Tagen hat einer einen Bienenstock bei Meran auseinandergenommen, um an den Honig ranzukommen. Ich habe mich im Internet informiert, wie man sich verhalten sollte bei Begegnungen mit Bären. Und dann haben wir fast alles falsch gemacht, was man falsch machen kann! Das schmutzige Geschirr und die Pfanne haben wir ins Zelt reingenommen! Alle Taschen an den Fahrrädern hängen lassen, die stehen etwa zwei Meter neben dem Zelt. Und nirgendwo steht, ob der Urin- Geruch des Menschen einen Bären vertreiben würde. Andere Tiere markieren ihr Revier so… Dann wäre es etwas einfacher! Nun, schlussendlich ist die ganze Nacht kein Bär aufgetaucht, zum Glück!!! Am Morgen um 7 Uhr kommt der erste Jogger vorbei, er staunt nicht schlecht, als er uns sieht, aber dann lächelt er und hebt den Daumen! Toll, was ihr da macht! Das freut uns sehr.
Die Sonne scheint, und während all unsere feuchten und nassen Sachen am Trocknen sind, geniessen wir unsere Yogastunde am Ufer des Sees. Wer hat schon ein so schönes Yogastudio?
Es geht weiter, dem See entlang und dann wieder hinauf, zum nächsten See, zum nächsten Ort. Wir strampeln in die Höhe, so langsam sind wir wirklich fit. Es ist eine Freude! Nach Andalo gibt es eine schöne lange Abfahrt mit tollem Blick ins Val di Non. Da werden an jedem verfügbaren Platz Äpfel angebaut. Nein, keine schönen Wiesen mit Hochstamm Apfelbäumen sind das, es sind riesige Plantagen, wo die Bäumchen in Reih und Glied stehen. Oft mit Netzen überspannt, um die Früchte vor Unwettern zu schützen.
Ganz am anderen Ende des Tals ist Cles, am Lago di Santa Giustina, da wollen wir heute hin.
Bis wir zur SS43 kommen, haben wir die Strasse fast für uns allein und können die Aussicht geniessen. Dann aber gilt unsere ganze Aufmerksamkeit dem dichten Verkehr. Nach ein paar Kilometern biegen wir ab, wir wollen die alte Strasse auf der anderen Talseite ausprobieren, da hat es sicher weniger Autos. Tia, ist nicht unser Glückstag: Baustelle, nach drei Kilometern Strasse gesperrt. Wir fragen einen Anwohner, wie das für Fahrradfahrer ist, und der behauptet, für uns gelte das Verbot nicht. Wir versuchen es also, aber da ist nichts zu machen, ein Stück wurde gerade betoniert und da gibt es wirklich kein Durchkommen. Der Mann auf der Baustelle ist sehr unfreundlich, als wir ihn fragen, ob es nicht doch eine Möglichkeit gäbe die 10 Meter zu umgehen. So unfreundlich, dass ich versuche, ihn zu besänftigen mit den Worten, Fragen kostet ja nichts, oder? Aber er geht nicht drauf ein, meint, wir hätten ja schon unten lesen können, dass es keine Durchfahrt gibt. Naja wir sind aber in Italien, und da gibt es manchmal schon Möglichkeiten, aber das sage ich dann nicht mehr.
Nachdem wir uns mit einem Picnic gestärkt haben, fahren wir wieder auf die andere Talseite, auf die Schnellstrasse, die mit einer langen, hohen Brücke auch die Talseite wechselt, und dann plötzlich: ein Velofahrverbot! Die Fahrradfahrer müssen zwingend auf den Radweg, der sich den Hang hochschlängelt. Dieser Radweg wurde sicher von einer Person geplant, die noch nie mit einem Fahrrad gefahren ist! Die steilen Steigungen sind vielleicht mit einem Mountainbike machbar, (oder E-Bike), wir müssen unsere vollbepackten Räder hochschieben. Aber jede Steigung hat mal ein Ende! Die letzten Kilometer nach Cles müssen wir noch mit Regen rechnen, schwarze Wolken türmen sich bedrohlich hinten im Tal auf. Aber dann schaffen wir es doch, ohne nass zu werden.
Carla und Piri erwarten uns schon! Es ist wie ein Wiedersehen, obwohl wir uns noch nie gesehen haben. Leo arbeitet noch in der Apfelzentrale, wo die Äpfel verpackt und verladen werden. Abends sitzen wir dann zusammen und erzählen uns von unseren Abenteuern. Die zwei machen uns sehr Eindruck, sie sind in Argentinien aufgewachsen, haben italienische Vorfahren, und deshalb das Recht auf einen italienischen Pass, den sie bei der Ankunft in Italien vor etwa drei Jahren erhielten. Sie haben sich zwei Fahrräder gekauft und sind mit einer einfachen Ausrüstung und mit Piri hinten im Körbchen losgefahren, um Italien zu entdecken. Nie haben sie auf einem Campingplatz ihr Zelt aufgestellt, immer haben sie andere Möglichkeiten gefunden! Ihre Freude und Lust an diesem Wanderleben ist ungebrochen, sie freuen sich sehr, wenn sie dann endlich wieder losfahren können! Wir verbringen zwei schöne und intensive Tage mit ihnen. Wir lernen ihre Arbeitgeber undNachbarn kennen und werden zu einem Ausflug an den Lago Tovel mitgenommen. Ein schöner Bergsee, den wir auf einer gemütlichen Wanderung umrunden. Vielen Dank für die schöne gemeinsame Zeit!
Nun werden wir Richtung Meran fahren, und zwar über den Passo Palade. Es sei eine gute Strasse, keine Lastwagen mehr, wird uns versichert. Und wirklich, diese Pass-Strasse ist sehr angenehm für uns, auch die Steigung ist erträglich, manchmal sogar ganz unmerklich. Auch hier ist die Aussicht wunderschön, weckt Erinnerungen ans Emmental. Oben angekommen machen wir das obligate Foto, und dann leisten wir uns den Besuch des Passrestaurants. Falls wir nun beim Weiterfahren ein Plätzchen finden würden zum Zelten, wäre das super. Aber auf dieser Seite des Passes sind die Hänge und Wälder steil, in engen Kurven geht’s runter. Da wo es flache Plätzchen hat, stehen auch gleich ein paar Häuser. Die Aussicht auf die gegenüberliegenden Berge, sogar die Dolomiten, ist unschlagbar. Wir beschliessen, ganz ins Tal zu fahren, nach Nals, wo ich einen kleinen Camping gefunden habe. Aber der ist dann leider noch geschlossen. Die Besitzerin schaut aus dem Fenster, als wir uns beraten, was wir jetzt tun wollen. Nach dem ersten Woher und Wohin beginnen wir zu plaudern, erzählen von unserer Reise und sie erzählt vom letzten Sommer und den Schwierigkeiten mit den Covid Regeln, ihr Mann kommt dazu, sie bedauern, uns nicht aufnehmen zu können. Aber im Nachbardorf hat es auch einen Platz, der ist offen. Wir sind im Trentino- Alto Adige/Südtirol angekommen, hier wird deutsch gesprochen, und auch deutsch gelebt. Es kommt uns ganz komisch vor. Die Radwege sind super ausgeschildert, ich kann meine Karte schliessen und Batterie sparen! Die Zunahme an E-Bike Fahrern ist auffallend. Auf Tagestouren spulen sie Kilometer ab und wir werden mit unserem gemütlichen Tempo manchmal zum Hindernis.
Meran soll sehr schön sein, wir machen einen Abstecher vom Radweg ins Zentrum, essen da italienisches Gelato, setzen uns in einem Park auf eine Bank, aber irgendwie haben wir gerade kein Lust auf Stadt. Deshalb machen wir uns bald wieder auf den Weg, dem Fluss Etsch entlang, der so rauscht und schäumt, dass er manchmal sogar den Autolärm von der nahen, sehr stark befahrenen Strasse übertönt. Bald kommen wir in die Talenge, wo die Etsch auf kurze Distanz fast 200 Höhenmeter runterrauscht, hier schlängelt sich der Radweg in Serpentinen hoch, meistens so, dass ich gerade noch fahren kann! Da hat jemand den Weg geplant, der an uns gedacht hat! Super! In einer grossen Kurve steht ein schöner Brunnen aus Holz, daneben ein riesiger Tisch unter einen Dach und weiter hinten nochmals ein Tisch unter einer schön überwachsenen Pergola. Es herrscht noch ziemlicher Fahrradverkehr, es ist etwa halb fünf Nachmittags. Aber wir haben unser nächstes Übernachtungsplätzchen gefunden! Also, aber zuerst mal viel kaltes Wasser trinken, dann die Umgebung für das beste Plätzchen auskundschaften, Eidechsen und Ameisen beobachten, und wenn gerade niemand da ist, wasche ich mich am Brunnen und ziehe mich um. Gegen sechs Uhr packen wir Kocher und Gemüse aus und beginnen zu schnippeln. Da kommen von oben her zwei vollbepackte Fahrradfahrer, biegen schwungvoll zu uns ein, ja hallo, wie geht’s denn so? Die beiden jungen Menschen, Elsa und Basti, sind auch länger unterwegs, Richtung Süden, Venedig, Sizilien,…Auch sie packen Kocher und Esswaren aus, auch sie haben den Platz zum Übernachten erkoren! Wir kochen zusammen auf dem Tisch, erzählen einander Geschichten aus unseren Leben. Plötzlich ist Basti mit dem Fahrrad verschwunden, und als er wieder auftaucht, hat er vier Flaschen Bier in der Tasche, die er oben in einem Restaurant geholt hat! Was für eine schöne Überraschung! Wir geniessen einen wunderschönen Abend zusammen. Als es dunkel wird nehmen die beiden im Brunnen ein Bad, Martin ist so begeistert, dass er auch noch reinspringt. Ich habe mich schon längstens gewaschen und auf dieses kalte Wasser habe ich sicher keine Lust. Wir bereiten unsere Schlaflager vor, wir im Zelt hinter dem Tisch und die zwei breiten ihre Matten direkt auf dem Tisch aus. Das Rauschen der Etsch begleitet uns in den Schlaf und weckt uns am Morgen zusammen mit dem Vogelgezwitscher wieder auf. Nach dem Frühstück packen wir unsere Taschen und verabschieden uns von den Beiden. Elsa und Basti, wir wünschen euch eine superschöne und interessante Reise weiter in den Süden!!!
Reschenpass wir kommen, noch ein Pausentag in Glurns, einem hübschen kleinen Städtchen mit viel Geschichte, dann geht’s los! Es ist sonniges, warmes Wetter angesagt, deshalb wollen wir früh losfahren, das Frühstück nehmen wir dann unterwegs! Um 7 Uhr sind wir schon auf dem Weg, super! Aber schon im ersten Dorf Laudes/Laatsch steht ein Verbotsschild auf dem Radweg! Gesperrt bis…Umweg über die Hauptstrasse. Wir beraten uns, da kommt eine Frau und sagt, die sind schon fast fertig, morgen wird der Weg wieder aufgemacht, ihr kommt da schon durch. Ok, wir versuchen es! Wir sehen die Arbeiten am Weg, zum Teil wurde er verlegt und ist noch nicht befahrbar, aber der alte Weg ist ja auch da. Aber da, nach einer Kurve, steht mitten drin ein Teerlastwagen und eine Walze, das alte Stück wird neu geteert. Die Arbeiter sehen nicht gerade erfreut aus, als sie uns sehen. Klar, verstehe ich, wir sind ja (wieder mal) durch ein Verbot gefahren. Wir werden angeschnauzt, warum wir uns nicht an das Verbot halten. Sie lassen uns stehen, aber dann machen sie uns doch den Weg frei zwischen der Walze und dem Lastwagen, und wir dürfen weiterfahren. Im Dorf Clusio/Schleis ist die Sperre dann aufgehoben und wir fahren legal weiter. Es geht jetzt nur noch aufwärts, mal mehr, mal weniger steil. Mal schiebe ich, mal kann ich fahren. Wir sind fast allein, zwei Frauen mit Kinderwagen sind aufwärts sehr sportlich unterwegs, einmal kommt uns ein Biker entgegen. Das letzte steile Stück holt noch das Letzte aus uns raus, so langsam bekomme ich Hunger, jetzt muss etwas in den Magen!
Oben im Dorf angekommen, steht da eine grosse Tafel: Der Radweg von Burgusio/Burgeis bis Reschen auf dem Pass ist den ganzen Sommer gesperrt, Umweg über eine Nebenstrasse, quer über die ganze Talfläche auf die andere Seite hoch, alles voll in der Sonne, sicher ein paar Kilometer länger und viel steiler!!!
Via Claudia Augusta, die angenehmste Strecke über die Alpen für Radfahrer…
Ach, wie ich diese Umwege hasse! Solchen Ärger müssen wir sofort mit etwas besänftigen! Kaffee und Croissants im nächsten Restaurant! Die Croissants fallen etwas mickrig aus, später werden wir noch unser Müesli essen. Na denn, weiter geht’s in der Sonne, die jetzt schon etwas höher am Himmel steht. Es sind jetzt schon mehr E-Biker unterwegs, der Schweiss fliesst in Strömen, ich muss jetzt schieben, sonst bekomme ich noch einen Hitzeschlag. Martin kann fahren, er ist etwa 50 Meter vor mir. Und da passiert es: Ein E-Bike Fahrer schaut Martin etwas zu lange nach, in der Kurve kommt ihm eine E-Bike Fahrerin entgegen, er weicht aus, kommt in die Böschung, und dann überschlägt er sich, fällt kopfüber, mitsamt dem Fahrrad in den Graben und bleibt da unten liegen. Schon ist die Bike Fahrerin von ihrem Rad gesprungen, ruft mir zu: Notfall anrufen, dann sehe ich, wie Martin auch schon hinrennt, die Partnerin des Verunfallten ist auch schon da und ich rufe die 112, werde verbunden an den Notfalldienst, die versichern, dass gleich ein Wagen kommen wird…Der Mann ist blutüberströmt, aber bei Bewusstsein, er will sogar aufstehen, was die Frauen versuchen zu verhindern. Bis die Ambulanz da ist, vergehen lange 15Minuten. Sie übernehmen den Mann und schliessen sich mit ihm im Fahrzeug ein. Die Partnerin steht etwas verloren da, sie wartet auf einen Freund, der wahrscheinlich das Fahrrad mitnehmen wird. Ich spreche noch ein Weilchen mit ihr, dann verabschieden wir uns und fahren/schieben weiter. So schnell ist etwas passiert! Diese E-Bikes sind einfach zu schnell, finde ich. Zum Glück hatte der Mann den Helm getragen, der sah ziemlich zerknautscht aus, und die Brille war ja total zerkratzt, überall Blut,….Hoffentlich hat er sich wieder ganz erholt!
In Ultimo, dem nächsten Dörfchen, dürfen wir unsere Flaschen mit dem kühlen Wasser eines Bauern füllen, und essen ein Müesli im Schatten. Noch steile hundert Höhenmeter, dann sind wir oben, Juhuui! Auf dem Weg dorthin begegnen wir einem Mann, der gerade von seinen Schafen auf dem Feld kommt. Er spricht uns an und er erzählt vom Winter hier, und wie schön es für ihn sei, hier zuhause zu sein. Die Pause am Schatten tut gut, die letzten Meter noch, dann sind wir auf dem höchsten Punkt des Weges, 1546 müM. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl in mir, ich habe es mit eigener Kraft geschafft!
Gebührend feiern wir diesen Erfolg!