Workaway
Wir sind glücklich gelandet und wohnen seit einiger Zeit in einer Jurte in Apulien! Arbeiten in einem grossen Garten, das Hügelbeet ist spiralförmig angelegt, dreimal rundum, da geht die Arbeit nie zu Ende! Bei der Hitze braucht schon das Bewässern abends mehr als eine Stunde. Birnen und Zwetschgen sind reif, kiloweise verarbeite ich die Früchte zu Konfitüre. Es ist die heisseste Zeit des Jahres und sogar beim Sitzen und Früchte schneiden läuft der Schweiss in Strömen! Aber wir können wenigstens im Schatten sitzen, und oft hat es nachmittags ein Lüftchen, das uns etwas abkühlen hilft.
Zum ganzen Grundstück gehören zwei Häuser, eines wird an Feriengäste vermietet, einige Trullis, die entweder ausgebaut sind oder auf ihre Renovation warten. Martin arbeitet an so einem Trulli, Maler- und Gipserarbeiten, die der Handwerker nicht gemacht hat, nachdem er den Türrahmen zum Bad so eingesetzt hatte, dass man von allen Seiten her den Durchblick hatte…hier muss alles auch geputzt werden, der Boden hat eine Jahre alte Schicht Dreck, der ich mit Bürste, Putzmittel und viel Wasser zu Leibe rücke. Danach wird er noch versiegelt, mit dem Pinsel…
Die Besitzer sind langjährige Workaway-Gastgeber, haben schon viele verschiedene Helfer gehabt, mit der Zeit erfahren wir so einige Geschichten. Schon nach einigen Tagen muss Paola in einen Kurs, wir versorgen den Garten und ihr Mann kocht für uns das Abendessen. Die alte Nonna freut sich jeweils auf die Gespräche mit uns, wurde sie doch vor 91 Jahren in Bern geboren! Die ganze Familie spricht gut Englisch, so ist die Unterhaltung für uns alle sehr einfach.
Aber halt, zuerst waren wir doch noch ein paar Tage unterwegs. Haben in einem Städtchen bei einer Tankstelle den Fahrradladen gefunden, der auch Treffpunkt des Fahrradclubs ist. Natürlich haben wir ziemlich lange mit ein paar von den Leuten geplaudert. Später standen wir auf einer Brücke, versperrt mit Gittern, neu asphaltiert. Umweg von etwa 10 Kilometern fahren, oder alles vom Fahrrad abladen und hinübertragen? Es ist Samstag, einigermassen viele Raddfahrer unterwegs. Die Brücke werde am Nachmittag um 16 Uhr vom Bürgermeister wieder eröffnet, erfahren wir von einem älteren Mann, der sich die Zeit da vertreibt, indem er beobachtet, was die Leute machen, wenn eine Brücke gesperrt ist. Mal begegnen wir zwei anderen Tourenradlern, sie fahren nordwärts, natürlich halten wir an und plaudern miteinander! Sie empfehlen uns das Salento Bikecafe in der Nähe von Galipolli, leider ist es geschlossen!
Ach ja und dann noch die unheimliche Begegnung mit einem Skorpion: Zum Einkaufen leeren wir jeweils eine unserer Taschen, meistens die mit den Kleidern, um die Einkäufe auf den Zeltplatz zu bringen. Als ich im Laden die Tasche aufmache, wuselt da in der Tasche so etwas herum. Ich gehe mal raus aus dem Laden, um draussen genau zu schauen, was da so panisch herumrennt. Ja und es ist wirklich ein stattlicher Skorpion! In meiner Kleidertasche! Die ich vorher arglos ausgeräumt und alles im Innenzelt deponiert habe. Martin hilft dem armen Tier aus der Tasche in ein Gebüsch. Später finde ich dann im Internet Informationen über Skorpione, und „meiner“ war ein eher seltenes Exemplar, das gerne in Steinmäuerchen lebt. Ich hoffe nun, dass er wieder so ein Mäuerchen gefunden hat.
Bei einer Fahrt durchs Hinterland treffen wir auf Felder voll abgestorbener Olivenbäume. Uralte, riesengrosse Gerippe dieser so schönen Bäume! Wir haben uns richtig elend gefühlt. Nach verschiedenen Gesprächen mit Leuten hier, wissen wir, dass das Bakterium Xylella die Bäume befällt und die „Adern“ zerstört, so dass der Baum verdurstet. Aber es gibt viel Widerstand gegen die Massnahmen der Agrar-Behörde, die vor allem die befallenen Bäume fällen und ringsum alle roden. (Und so gibt es Platz für andere Kulturen, z.B. Mango und Avocado, und das in einem Landesteil, wo Wasser Mangelware ist!). Je nachdem, mit wem wir sprechen, hören wir dies oder das. Aber klar ist, diese Bäume sind zum Teil über tausend Jahre alt, und dass die jetzt alle gerodet werden sollen, sobald in der Nähe ein kranker Baum auftaucht, ruft natürlich Widerstand hervor. Ein anderes Thema ist auch die Monokultur, die sich gerade in den betroffenen Gebieten im Salento über Kilometer hinwegzieht. Da steht kein anderer Baum, kein anderes Gebüsch, die Behandlung des Bodens mit “Round-up” über Jahrzehnte hinweg,… da kann sich dann so ein Krankheitserreger superschnell ausbreiten!
In dieser Gegend wäre auch unser Workaway, das sich aber von selbst erledigt, nachdem wir fast eine Woche lang vertröstet wurden. Als wir ankamen, wurden wir nochmals für zwei Tage weggeschickt wegen Platzmangel, und am nächsten Tag per Whatsapp abgesagt!
Nun ist wieder alles offen! Fahren wir nach Lecce? Da hätte es sogar drei Warmshower Gastgeber. Ich schreibe sie mal an, bekomme eine Absage, und zweimal keine Antwort, das Hostel ist geschlossen und andere Hotels viel zu teuer. Etwas ratlos stehen wir da, was nun? Städte zu besuchen ist diesen Sommer etwas schwierig geworden.
Dann erhalten wir die Zusage von Paola aus Cisternino. Sie hätte jetzt Zeit, uns als Workawayer aufzunehmen! Und in der gleichen Stunde kommt ein Mail von Warmshower: ein junger Mann in Oria lädt uns ein, im Garten seiner Eltern zu zelten! Oria ist auf dem Weg zurück nach Cisternino. Und dieser Garten von Francesco und seiner Mutter ist ein Highlight! Er hatte ein schönes Plätzchen im Schatten unter den Bäumen für uns ausgesucht, einen Plastik hingelegt und ein Gestell, damit wir unsere Sachen versorgen konnten.
Die Begrüssung ist jetzt immer etwas speziell, soll man sich die Hand geben? Wie nahe geht man zueinander? Alle versuchen, die Distanz zu wahren, aber trotzdem Freundlichkeit zu zeigen. Es ist ja nicht gegen die Person, sondern wegen dem unsichtbaren Virus, dass man sich nicht mehr einfach umarmen kann. Aber im Garten zu zelten hat Vorteile, Distanz ist da, Dusche und Toilette sind draussen. Abends lassen wir Pizzas bringen, es ist eine gemütliche Runde, Brüder und Freunde kommen und gehen, eine Cousine mit ihrem Sohn aus Rom ist da in den Ferien. Wir dürfen auf diese Weise einen Blick in eine italienische Familie werfen, und dafür sind wir sehr dankbar. Francesco, vielen Dank für eure Gastfreundschaft! Es ist momentan nicht selbstverständlich, so herzlich aufgenommen zu werden!
Was uns auch beeindruckt hier: Das Wasser des Äquaduktes kommt nicht bis hierhin, deshalb ist das Leitungswasser kein Trinkwasser! Dieses holt die Familie mit Kanistern an einem der Trinkbrunnen in der Stadt! Schon immer war es so. Das Regenwasser wird in der hauseigenen Zisterne gesammelt, das ist aber kein Trinkwasser. So wird in vielen Gemeinden Wasser per Tanklastwagen zum Haus gebracht, oder man hat seine eigene Reinigungsanlage, oder man fährt eben an einen Brunnen und füllt Flaschen und Kanister. Wir sind hier in Europa, im Jahr 2020!
Wir fahren weiter ins Landesinnere, schon bald tauchen in den Hügeln und Olivenbäumen wieder die Trullis mit ihren spitzen Türmchendächern auf. In einem Wald, der an der Ciclovia des Äquaduktes liegt, den wir jetzt in der Gegenrichtung fahren, machen wir Pause, und später übernachten wir hier, das erste Mal seit langer Zeit wieder einmal wild. Hier gibt es einen Brunnen, wo die Leute aus der Gegend ihr Trinkwasser holen. Wir füllen unseren Wassersack, bevor wir in die Büsche verschwinden, uns duschen und gemütlich Abendessen kochen.
Die letzte Etappe am nächsten Tag ist nur noch kurz, bald sind wir in Cisternino angekommen! Paola holt uns ab, und führt uns zu ihrem Grundstück.
Und hier leben wir nun schon seit einem Monat, arbeiten , haben viele interessante Gespräche, kochen zusammen, gehen auf den Secondhand-Markt, ein Städtchen besichtigen, oder ins Meer baden, oder Kaffee trinken in der Pasticceria „Almond“, ganz in der Nähe!
Einmal fahren wir mit dem Bus nach Brindisi, ein Besuch in Decathlon ist wieder einmal fällig. Im alten Zentrum finden wir in einem kleinen Gässchen ein schönes Restaurant, wo wir uns wieder einmal mit „Cozze“ verwöhnen.
So vergeht die Zeit im Flug! Ausgiebig haben wir auch über den nächsten Winter diskutiert, jetzt fahren wir mal Richtung Sizilien und schauen, ob es uns dort gefällt, und wir vielleicht dort überwintern. Auf jeden Fall freuen wir uns, bald wieder auf die Fahrräder zu sitzen und loszufahren!